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Auszug aus einem Artikel der Zeitschrift “BEER” vom Januar 2002

Das vielleicht Beste an einer solch interessanten Stadt ist, die Nachbarschaft zu erforschen. Es gibt immer ein paar versteckte Schätze zu finden. Neulich nahm mich ein Freund, der etliche Jahre in Köln gewohnt hatte, mit zu einer Kneipe, die wahrscheinlich der absolute Geheim-Tip unter allen Insider-Tips über Kneipen ist; er hatte nämlich mitgekriegt, daß ich einen Artikel über Kölsch schreiben wollte.

Nach 25 Jahren regelmäßiger Besuche glaubte ich, inzwischen die meisten dieser Geheimnisse zu kennen; aber jener Ort war ein regelrechter Schock. Das Haus ist ein halb-ausgebombtes Gebäude. Der Fassaden-Anstrich ist verblaßt und abgebröckelt. Nur das Wort „Gaststätte“, einige Buchstaben fehlen, lassen es als Kneipe erkennen. Alleine wäre ich niemals hineingegangen. Es wirkt wie eine Ruine oder ein Treff der hiesigen Unterwelt.

Wir kamen um 5:30 Uhr an, gerade als geöffnet wurde. Eine Viertelstunde später waren alle 40 Sitzplätze besetzt und auch die Stehplätze wurden langsam knapp. Die Show begann. Ein Faß Päffgen wurde durch den Raum gerollt und bahnte sich seinen Weg zwischen den Herumstehenden hindurch bis zur am weitest entferntesten Ecke. Dort wurde es von dem 70-jährigen Wirt auf seinen Platz gehievt. Nachdem er es angeschlagen hatte, schenkte seine Frau die Gläser voll und er begann seine Runden zu ziehen.

Der Wirt, dessen Namen ich nicht erwähnen möchte, wird von seinen Gästen geliebt. Er trägt stets ein solch trauriges Gesicht, als ob sein Hund gerade eben gestorben wäre; und etwas anderes als „Tag“ oder „Kölsch?“ kommt seltenst aus seinem Mund.

Er zieht seine Runden nach einem festgelegten Schema durch den Raum und alles wird von ihm in der immer gleichen, altbewährten Weise getan. Ihn außerhalb seiner Runde um ein Bier zu fragen, das tut man nicht. Dein leeres Glas auf dem Tisch ist alles an Signal, was er braucht. Und das funktioniert. Du sitzt niemals lange vor einem leeren Glas.

Das Innere der Kneipe ist, um es einmal höflich auszudrücken, äußerst rustikal. Die Tapeten sind braun durch 50 Jahre Rauch, die sauberen Tische und Stühle sind aus solidem Holz gefertigt. Ich versuchte herauszufinden, was wir eigentlich alle hier machten. Die Gäste, eine gemischte Gruppe aus schlipstragenden Yuppies bis hin zum einfachen Arbeiter, was verband sie alle?

Wie auf ein geheimes Zeichen hin begann die Küche, in die man durch eine kleine Durchreiche in der gegenüberliegenden Wand hineinschauen konnte, um 5:30 Uhr mit der Produktion. Ich war angehalten worden, die Spezialität des Hauses, Kotelette, zu bestellen. Ich hatte noch nie zuvor so etwas gesehen: Ein Batzen Fleisch, mindestens 9 Zentimeter dick, bedeckt mit geschmorten Zwiebeln und begleitet von einer hausgemachten Sauce, die in gebrauchten Ketchup-Flaschen serviert wurde, sowie einem Senf, der so scharf war, daß er einem die Schädeldecke wegblies. Das war absolut das beste Kotelette, welches ich jemals gegessen habe. Als ich dem Wirt das sagte, murmelte er nur bescheiden die beiden Silben: „Och nee“.

Das Bier schmeckte gut und das Essen war großartig. Aber es ist eine Art von Magie, die Dich irgendwann singend in die Nacht entläßt, wenn Du dann endlich beschließt, Dich endlich loszureißen.

Leider würde dieser fragile Zauber nur allzu leicht kaputt gemacht, falls diese Kneipe zu bekannt würde. Daher sage ich nur soviel: Sie liegt in einer kleinen Straße mitten in der Stadt, wenige Kilometer vom Dom entfernt. Falls Du zufällig auf sie stoßen solltest, dann gehe nicht in größeren Gruppen als fünf Personen hinein - und bitte, sei zurückhaltend. Falls Du sie aber nicht finden solltest, so sei gewiß, es gibt in dieser Stadt viele andere Plätze, wo man wundervolles Kölsch trinken kann.
 

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