© Erwin Timmerbeil (aka timmi)
All Rights Reserved

Die Speisekarte

Wir hatten Besuch aus Ostfriesland. Wir sprachen über Gott und die Welt - wir hatten uns lange nicht mehr gesehen - und natürlich auch über unsere Stammkneipe, unser „Zweites Wohnzimmer in Deutz“. „Diesen Lommi würden wir auch gerne mal kennenlernen!“, erklärte unser Besuch. Und so warfen wir alle Besichtigungen Bonner Museen und Einkaufsbummel durch die City über Bord und beschlossen, morgen unserem Besuch „den Lommi“ zu zeigen.

Die verblüfften Mienenspiele der Beiden, als sie das Gebäude zum ersten Mal sahen, die kennen alte Lommi-Fans ja zur Genüge. Und so war es auch hier: „Das ist ja eine Bruchbude. Da gehe ich aber nicht rein“ usw. usw. Beim üblichen „Ansitzen“, wie wir das Warten vor der Tür nannten, waren die altbekannten, immer wieder gleichen Bemerkungen von Erst-Tätern („Wie kann man nur stundenlang vor einer Kneipe warten - noch dazu vor einer solchen Bruchbude - nur um dort ein Bier zu trinken und ein Kotelette zu essen?“) zu vernehmen.

Irgendwann hatte auch die längste Warterei ein Ende und wir wurden für unser Ausharren mit einem Sitzplatz belohnt. Als die Zeit kam, um die Bestellungen fürs Essen abzugeben passierte es. Ich hatte es den Beiden wieder und wieder erklärt, dass es beim Lommerzheim keine Speisekarte gibt; hatte ihnen die Speisen, welche die Küche zu bieten hatte mehrfach komplett aufgezählt (Damals gab es die gerahmte Karte vorne am Fenster noch nicht.) und hatte sie darauf hingewiesen, dass sie sich, gerade als Erst-Täter, das Kotelette auf keinen Fall entgehen lassen dürften. Aber nein - es kam, wie es kommen musste: „Ich kann mich einfach nicht entscheiden,“ tönte es, „kann ich doch, bitte, mal die Speisekarte haben?“

Ich war sprachlos. Nicht so Herr Lommerzheim, der mit einem unmerklichen Lächeln um die Augenwinkeln den Beiden in seiner trockenen Art ganz ernsthaft erklärte: „Das tut mir leid; aber die neue Karte ist gerade im Druck.“

So entschieden die Beiden sich, mangels Speisekarte, halt doch für das Kotelette - und waren genau so staunend begeistert, wie bereits Tausende vor ihnen.

 

home

zur Übersicht

nächste Geschichte