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Urlaub ‘93

Am 7.8. ging’s los. Agathe (für die, die “Agathe” noch nicht kennen: “Agathe” ist unser Mopped, eine Electra-Glide-Classic der Marke Harley Davidson im Farbton “New twotoned red voyage and light poppy metallic”.) - also - Agathes Seitenkoffer und das Topcase wurden gefüllt mit den Dingen, die man für einen einwöchigen Aufenthalt zwischen zwei Waschmaschinen braucht; überwiegend T-Shirts und Unterwäsche also neben den obligatorischen Jeans.

“Zwischen zwei Waschmaschinen”? Ja, genau so hatte meine Jattin unsere Deutschland-Rally geplant. Mehr an Kleidung ist selbst auf einem Touren-Mopped nicht mitzunehmen, wenn man bedenkt, daß ein Koffer ja bereits durch Regenkombis, Werkzeug und Kleinkram sowieso immer voll ist. So gab es dann auch gleich ein kleineres Problem im Vorfeld der Planung, als ich auf Geheiß meiner Jattin in Ostholstein, wo wir von einem MAUS-User, den ich bislang nur aus Mail-Kontakten kannte, eingeladen worden waren, vorsichtig nachfragte, ob er denn auch eine Waschmaschine besitzt. Er klärte mich umgehend über sämtliche vorhandenen Resourcen seines Haushaltes auf. Nicht nur eine Waschmaschine nannte er sein eigen; nein, es gebe sogar richtigen elektrischen Strom bei ihnen im Dorfe; sie hätten sogar noch ein paar weiter elektrisch betriebene Geräte, wie z.B. Radio und Fernseher; und im Dorf kenne er sogar einen Mann, der richtig lesen und schreiben könne... ;-)

So schwangen wir uns also beruhigt auf unsere “Agathe” und knatterten in Richtung auf die Südstaaten los. Wir erreichten Niedermotzing, einen kleinen Vorort von Straubing gegen 16 Uhr. Zugegeben, etwas zu früh für einen (wenn auch angemeldeten) Besuch. Und so schmissen wir dann auch prompt die Wirtsleute unserer ersten Etappe aus der Koje, wohin sie sich wahrscheinlich vor den überaus bissigen Fliegen geflüchtet hatten. Ja wirklich: Im Verlauf unseres Aufenthaltes dort durften wir erleben, wie sogar die allseits bekannte Spezies “ordinäre Stubenfliege” sich nicht damit begnügte, uns durch ihr Umherschwirren und kitzelndes Absetzen auf Armen und Beinen zu quälen; nein, wir ertappten sie mehrfach dabei, wie sie sich genüßlich an unseren Extremitäten labten. Dabei waren sie sowohl an unserem Lebenssaft wie auch an Haut und Fleisch von uns interessiert. Meggi zählte nach einer Woche reichlich mißvergnügt 54 (in Worten: vierundfünfzig!) Bisse und Stiche alleine an ihrem linken Bein. (Doch, wir haben uns täglich gewaschen!)

Der Wettergott zeigte ein Einsehen mit uns, die wir von der langen Fahrt ermüdet waren und ließ es am folgenden Tag, Sonntag, regnen. So nutzten wir diesen Tag zum Regenerieren und Kräftesammeln für die Tagesausflüge, die wir uns von hier aus vorgenommen hatten. Am Montag schien dann auch wieder die Sonne, die erbarmungslos aufdeckte, wie verdreckt “Agathe” jetzt bereits war. Aber anstatt den Lack wieder auf Hochglanz zu bringen und den Chrom zu polieren schwangen wir uns auf unseren Dreckklumpen und pötteten in Richtung Bayerischer Wald. Speziell die beiden Orte Bodenmais und Zwiesel hatten es uns bereits bei unseren früheren Besuchen in den Südstaaten angetan. Unglaublich, wie man hier in einer einstelligen Minutenzahl dreistellige Summen für Glas ausgeben kann. ;-)  Uns gelang es auch diesmal wieder, unsere alte Bestzeit nochmals zu verbessern...

“Oooohhh... Hast Du diese Glaskugel gesehen? Die würde aber gut zu unsern anderen passen”... Und diese Vase stehen zu lassen wäre ja fast schon Sünde; wo wir schon’mal hier sind!”... “Ich hätte aber lieber diese Vase hier”... “Ach nehmen wir sie doch beide - wenn man bedenkt, was die in Bonn kosten würden!”...”Was haben wir jetzt eigentlich alles? Drei Vasen und 9 Glaskugeln?”... “Huch, fast hätten wir vergessen, noch eine Kleinigkeit für die Mama mitzunehmen.”... “Wie sollen wir das eigentlich alles mitkriegen? - Verschicken Sie die Sachen auch? Jaaaa? - Wie schön, dann nehmen wir auch noch...”

Geschafft vom Kaufrausch erreichten wir mit Mühe und Not das Dorf  Schweinhütt, wo ein Landgasthof uns mit einer zünftigen Brotzeit wieder aufpäppelte. Nachdem wir noch die beiden Jungens, die die ganze Zeit um “Agathe” geschlichen waren, davon überzeugt hatten, daß sie sich ein solches Mopped unbedingt zu Weihnachten wünschen sollten, fuhren wir eilig los, da die Eltern der beiden, die von dieser Idee Feuer und Flamme waren (“Wir wollen aber jeder eins!”) ‘rauskamen, um nachzusehen, was ihre hoffnungsvollen Sprößlinge denn da eigentlich so lange mit uns zu besprechen hatten. ;-)

Beim nächsten Tankstopp bemerkte Meggi dann so ganz nebenbei, wieso eigentlich der hintere Reifen so viel weniger Luft habe als der vordere. Ein Leck war nicht zu entdecken, das Ventil war auch in Ordnung, wie die Spucke-Probe ergab. Also wurde der Luftdruck von den vorhandenen 1,5 Atü wieder auf den Sollwert von 2,7 angehoben, und wir fuhren mit etlichen Stops und Nachprüfen des Luftdruckes heim nach Niedermotzing, ohne daß sich eine Veränderung gezeigt hätte. Auch die Messung am nächsten Tag ergab keine Anzeichen eines Leckes; der Luftdruck blieb konstant bei 2,7 Atü. Ich sollte erst bei unserer nächsten Etappe, in München, wieder daran erinnert werden.

Den Dienstag widmeten wir dann stadtbummelnderweise der schönen Stadt Straubing und ihren herrlichen Bistros auf dem Marktplatz, wo wir bei Eiskaffe und kleinen Imbissen die fachkundigen Kommentare des dankbaren Publikums genossen, welche die inzwischen mit Schwamm und heißem Wasser wenigstens oberflächlich wieder geputzte “Agathe” bestaunten. Ja, es hatte sich gelohnt, auch die Chromflächen wieder leicht aufzupolieren. Die gleißende, sich darin spiegelnde Sonne verdeckte so mildtätig meine Pfuschereien beim Putzen des Motors und der nicht direkt einsichtigen Stellen.

Den Abend krönten wir schließlich mit einem Besuch eines der besten Speiselokale die ich kenne (und ich kenne eine ganze Menge!), dem “Dillan”. Auch diesmal wurden unsere Erwartungen vom uns dargebotenen Sieben-Gänge-Menü mehr als erfüllt. Nach dem abschließenden Digestif vermochten wir nur noch heimwärts zu rollen

Am nächsten Tag, dem Mittwoch, ließen wir “Agathe” in der Garage um mit der “Lima-India” (so nennt Lothar, der Pilot dieser Maschine, liebevoll seine Jodel, die das amtliche Kennzeichen D-EELI trägt) um via Bayrischer Wald nach Karlsbad (CSSR) zu fliegen. Leider hatte der Wetterfrosch uns einen unzutreffenden Wetterbericht geliefert, so daß wir weiträumig diese in den Wolken steckenden Gipfel umfliegen mußten. Und dann die Landung... Es war für mich das erste Mal, daß ich einen Landeanflug auf eine Bahn miterlebte, die sich wie eine Berg- und Talbahn vor mir ausbreitete. Lothar murmelte nur etwas, daß es wohl schwierig würde, bei den vorherrschenden starken Querwinden direkt hinter der ersten Kuppe dieser Bahn aufzusetzen - nur so ließe sich eine Hüpflandung mit dieser Spornrad-Maschine vermeiden - als wir auch bereits genau dort Bodenkontakt bekamen und den Rest dieser Achterbahn rollend genießen durften.

Imposant war dann die Dame der Zollabfertigung, die uns mit ihrem Büro-Bauchladen in Empfang nahm. Sie hatte noch mehr Goldsterne und Tressen an ihrer Uniform, als sie seinerzeit mein Käpt’n bei der Marine mit sich herumschleppen durfte. Nach den Formalitäten hatten wir viel Zeit, die wunderschöne Stadt Karlsbad mit ihren heißen Quellen und hunderten von fliegenden Händlern mit ihrem Kristallglas zu bewundern. Erwähnenswert ist neben all den vielen zu besichtigenden Dingen, die im Baedecker viel besser nachzulesen sind, als ich sie hier beschreiben könnte, eine Ausstellung alter (fast schon antiker...) Motorräder. Hier gab es neben einer R25-3 auch etliche alte MZs, CZs und JAWAs zu sehen. Teilweise in wirklich abenteuerlichem, aber sehr gepflegtem Zustand. Auch ein paar sehr alte englische Maschinen waren zu bewundern.

Am Donnerstag brachen wir auf, um uns Regensburg anzuschauen. Ein solches Unterfangen mag ja zu Fuß ganz interessant und lustig sein... Aber nachdem wir uns hatten erklären lassen, wo hier die Post zu finden sei - und wie man hinkommt (zwei völlig verschiedene Dinge!) - verzichteten wir nach zwei Stadtdurchquerungen, die uns durch Gäßchen führten, wo ich fürchten mußte, gleich mit “Agathe” stecken zu bleiben, auf weitere diesbezügliche Experimente und erinnerten uns an das bequem zu findende Postamt in Straubing. Dieses erreichten wir wohlbehalten, glücklich, dem “Agathe”-feindlichen Labyrinth Regensburg mit seinen abenteuerlichen, als Straßen bezeichneten Trampelpfaden, wieder entkommen zu sein.

Auf dem Weg zum Postamt in Straubing entdeckte ich dann rein zufällig einen Harley-Shop, womit unser Nachmittag auch ausgefüllt war. Um einen Ring für die Jattin und eine Gürtelschnalle für mich reicher machten wir uns nach längeren Benzingesprächen abends wieder auf den Heimweg nach Niedermotzing.

Der nächste Tag stand unter dem Motto “Wir wollen schließlich auch mal ‘was von Euch haben!” Und so kauften wir tagsüber für die abendliche Grillfete ein, nähten aufgeplatzte Nähte, Meggi zeigte zum ersten Mal auf unserer Tour wieso sie Waschmaschinen als strategische Eckpunkte unserer Reise ausgewählt hatte. Mit ausgiebigem Umwandeln zarter Fleischstücke zu Kohlenstoff unter Zuhilfenahme glühender Holzkohle und Mißbrauch etlicher Flaschen Bier ließen wir irgendwann auch diesen Tag ausklingen.

Am Freitag besuchten wir schließlich das “Gäubodenfest”, das wahrscheinlich zweitgrößte festliche Ereignis Bayerns nach dem Oktoberfest. Genau wie dort ist auch hier ein riesiges Gelände mit Fahrgeschäften, Schaustellern und Bierzelten zugestellt. Kaum saßen wir, um vermittels einer Maß die Brez’n, Giggel (so heißen die Hähnchen hier komischerweise), Hax’n (gegrillte Schweineschenkel) und sonstiges, zum Überleben dringend erforderliches, hinunterzuspülen, da spuckte die um uns herumwogende Menschenmenge einen ledergekleideten Burschen aus, welcher zielsicher neben mir Platz nahm und auf mich einredete. Bereits nach weniger als zehn Minuten erkannte ich, daß es sich um einen jener netten Moppet-Fahrer handelte, die ich am Vortage im Harley-Shop kennengelernt hatte. Er fand es - im Gegensatz zu mir - ganz natürlich, daß wir uns in diesem unbeschreiblichen Getümmel zufällig getroffen hatten. Er hatte wohl, im Gegensatz zu mir, niemals eine Vorlesung in Wahrscheinlichkeitsrechnung genießen dürfen.

Auf dem Gelände nebenan fand die “Ostbayern-Schau” statt, eine Art Messe, auf der die regionalen Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe ihre Waren vorstellen und anpreisen. Nachdem Lothar direkt zu Beginn unseres Streifzuges durch die Ausstellung am dortigen Briefmarkenstand verschwunden war (alles was mit Briefmarken zu tun hat, dauert bei Lothar “etwas” länger, da er Koordinator irgendeines furchtbar wichtigen, internationalen Marken-Tausch-Vereines ist), entdeckten wir (minge Jattin, seine Jattin und ich) nebenan einen Stand, an dem Wasserbetten einladend nur darauf warteten, von uns ausgiebigst getestet zu werden. Unnötig zu erwähnen, wo wir die folgende knappe Stunde gelegen haben? Jedenfalls durften wir (liegend) zusehen, wie etliche Mütter ihre fragenden Kinder peinlichst berührt weiterzogen, die fragten, wieso denn “der Onkel und die Tante da in dem Bett” so laut lachend auf und ab wippten...

Mit dem Kauf einiger Kleinigkeiten, ohne die wir uns entsprechend den Worten des jeweiligen Verkäufers ein menschenwürdiges Weiterleben kaum noch vorstellen konnten (Gürtel, Mäntel, Jacken, Korund-Schleifsteine, Haarbänder, Duftöle, Broschen...) ging auch dieser Tag irgendwann einmal zu Ende und wir trotteten mit qualmenden Socken heimwärts, um völlig geschafft in die Koje zu fallen, von der wir uns am kommenden Tag erheben wollten, um das nächste Etappenziel unserer Reise, München, anzusteuern.

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Am Sonntag ging’s dann weiter nach München. Schnell noch vorher volltanken, da es erfahrungsgemäß auf der BAB von Regensburg nach München kaum Tankstellen gibt. Der Luftdruck stimmte auch ...noch. An der Ausfahrt Schwabing dirigierte meine Jattin per Helmfunk “RECHTS AB!” (...und Jattinnen haben immer recht). So lernten wir in direkter Folge auf diesen richtungsweisenden Imperativ etwa 4/5 der sogenannten äußeren Ringes um die heimliche Hauptstadt Deutschlands kennen. ;-) 

Dadurch wurde auch, früher als geplant, wieder eine Tankpause nötig (ja, München ist schon recht groß.). Und dabei hatte ich prompt wieder das zweifelhafte Vergnügen festzustellen, daß schon wieder ca. die Hälfte der Luft des Hinterrades in die Entropie der Gasmoleküle der Atmosfäre eingegangen war. Wat’n Schiet! Was konnte die Ursache sein? Ein paar Tage lang hielt sich der Luftdruck konstant; sowohl beim Fahren wie auch beim Stehen. Und dann plötzlich wieder sank er in wenigen Stunden auf ca. die Hälfte seines Sollwertes ab. Ich war wenig begeistert von der Idee, das Hinterrad ausbauen zu dürfen. Ein Blick ins Münchner Telefonbuch brachte Erleichterung: es gab einen Harley-Händler mit Werkstatt in München (ja, München ist schon recht groß.). Aber Sonntags regenerierte auch dieser Schrauber sich von den aufreibenden Kundenwünschen der Woche und bereitete sich innerlich auf meinen Besuch am Montag vor. So nahmen wir unsere München-Umrundung wieder auf und erreichten kurz vor Schließen des Vollkreises den Stadtteil Haidhausen, wo “uns Axili” uns bereits erwartete. Raus aus dem Leder, hinein in die Jeans und ab ins “Lisboa”, wo wir uns an Portugiesischen Köstlichkeiten labten.

Am Montag galt mein erster Griff dem Telefon. Die Nummer der Harley-Werkstatt gewählt - ja, es war frei. Jemand nimmt den Hörer ab - und ich lege direkt los: “ja, also... Ich habe da ein Problem mit dem Hinterreifen meiner FLHTC. Er verliert Luft. Da ich kein Leck entdecken kann und auch das Ventil in Ordnung ist...” Hier etwa werde ich von einer zaghaften Frauenstimme unterbrochen, die mir erklärt, das sie versehentlich an einen Knopf des Anrufbeantworters gekommen sei und das Gerät jetzt leider nicht wieder dazu bewegen kann, Anrufe entgegenzunehmen und aufzuzeichnen. Leider sei das Geschäft montags geschlossen. Und außerdem sei sie sowieso nur die Putzfrau...

Ein gehetzter Blick von mir ins Telefonbuch beruhigt mich wieder: es gibt noch eine zweite Werkstatt, die sich der Moppedmarke aus Milwaukee verschrieben hat (ja, München ist schon eine recht große Stadt.). Also diese Nummer in die Tasten gehämmert und gewartet. Diesmal warte ich sogar auf die Worte, mit denen sich die andere Seite der Leitung meldet. Der Text klingt gut, und so bete ich erneut meinen Klagegesang in die Muschel (So mit “Auf Durchreise” “muß dringend wieder weiter” usw... Ich kenne schließlich inzwischen “meine” HD-Werkstätten und speziell ihre Vorlaufzeiten aus langer, leidvoller Erfahrung.) Tjä, dann soll ich man direkt mal herkommen, höre ich erstaunt. Das tue ich dann auch umgehend. Ohne Axels ortskundige Führung hatte ich diese Werkstatt niemals gefunden (ja, München ist schon eine recht große Stadt.).

Der Meister läßt sich bäuchlings hinter dem Mopped auf dem Boden nieder, zückt eine starke Taschenlampe und beguckt sich die Lauffläche des Reifens. Ich sitze auf dem Bock und schiebe ihn gaaanz laaangsam vorwärts, während er hinter “Agathe” herrobbt - genauso, wie er es wahrscheinlich seinerzeit bei der Firma Y-Reisen gelernt hat. Und das mit gutem Erfolg: “Aha, da isser ja, der Übeltäter!” triumphiert er und zeigt auf zwei nebeneinander liegende, kaum zu erkennende Metallpünktchen im Profil des Reifens. Eine Krampe ist das mal gewesen; der Verbindungsbügel wurde während der letzten Kilometer vom Straßenbelag wohl weggerieben.

“Was machen wir denn nu’? Schnell soll’s gehen? Tjä, dann kommt eigentlich nur unsere neue Reifenmilch in Frage. Die wurde für die amerikanische Army entwickelt und wird, im Gegensatz zu den altbekannten Pannenhilfen in der Sprayflasche, bereits profylaktisch vor dem ersten Leck in den Reifen geschüttet. Eventuell auftretende Leckes bis zu 5 mm Durchmesser werden dadurch problemlos und dauerhaft geschlossen. Ist auch beim Auswechseln des Reifens irgendwann einmal nicht so’ne Sauerei, wie das alt(-bewährte?) Reifen-P*lot.” Ich schnappte mir also den mir entgegengestreckten Prospekt dieses Wundermittels. Wenn auch nur ein Bruchteil des dort beschriebenen stimmt, dann ist es einen Versuch wert.

Der Meister füllte also die Reifenmilch (“LTP”) durch den Ventilschaft in den Reifen, drehte das Ventil wieder ein, pumpte ihn auf und fuhr eine Runde um den Block. Dann zog er die beiden Metallstifte (ca. 3 mm Durchmesser) aus dem Reifen. Ein lautes Zischen war der Erfolg. Nach etwa 5 Sekunden hörte es auf; der Reifen war wieder dicht (und mein Puls beruhigte sich auch wieder.). Und ich will es vorab ruhig schon verraten: Der Reifen blieb bis heute dicht. Ich habe seit dieser Reparatur ca. 4000 km damit zurückgelegt. Einige Tage später las ich dann im “T*renfahrer 8/93” einen Testbericht, in dem u.a. auch die LTP-Reifenmilch erwähnt wird. Leider geht das auch dort bestätigte gute Ergebnis in der abschließenden Beurteilung, in die dann wieder alle erwähnten Pannen-Sets einfließen, nicht so deutlich raus, wie ich es diesem Produkt aufgrund meiner überaus positiven Erfahrungen gewünscht hätte.

Wieder fahrbereit nutzte ich sofort schamlos meinen ortskundigen Sozius aus, indem ich mich von ihm zu “H*rry’s Biker Store” lotsen ließ, den ich bestimmt nicht so einfach gefunden hätte, wenn ich mich nach dem Stadtplan hätte orientieren müssen (ja, München ist schon eine recht große Stadt.). Dort schwelgten wir dann beide in Accessoires, ohne die ein echter Biker eigentlich kaum lebensfähig ist. Nur... meine Jattin würde mir den Kopf abreißen, wenn ich sie nicht in meine Kauforgie psychologisch geschickt mit einbeziehen würde.

Also: heimwärts, den ortskundigen Sozius schnöde abgeladen (Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan) und die Jattin auf den nun freien Platz verfrachtet. Bei Harry angekommen, machte ich die Jattin dann auf ein bis zwei wunderschöne Armreifen und T-Shirts aufmerksam ...und hatte den Weg frei zu den Kleinigkeiten, die mir bereits bei meinem ersten Besuch ins Auge gefallen waren (ein preisgünstiger, kleiner Silberring mit einem V2-Motor (für die Insider: ein Pan-Head); ein paar T-Shirts, ein Gürteltäschileinchen für das Buck-Knife, eine kleine Gürtelschnalle; einen Gürtel...).

Frauchen hatte sich inzwischen auch endlich für einen silbernen Armreif mit Türkisen entschieden. Wohl zum ersten mal in der Geschichte dieses Ladens, wie mir der (inzwischen bereits zweite!) Verkäufer anvertraute, gelang es mir, den Preis auf einen runden Betrag herunterzuhandeln. Dieses Hobby habe ich mir bei meinen häufigen mediterranen Urlauben angewöhnt und betreibe dieses Spiel seither mit hartnäckiger Akribie ...und recht erfolgreich. Meine Jattin verleugnete mich bereits seit geraumer Weile schamgeschüttelt, als ich gutgelaunt den Laden wieder verließ.

Abends verwöhnte meine Jattin uns dann mit einem ihrer berühmten Nudelaufläufe (böse Zungen behaupten, ich hätte sie nur deshalb geheiratet.).

Am Dienstag lieh sich Axili von einem Bekannten eine CX-500, einen Eintopf, da wir gemeinsam eine Voralpentour unternehmen wollten. Er ließ sich auch kurz das Handling dieser Maschine erklären. Das Anlassen kam bei dieser Einweisung wohl etwas zu kurz weg. Als wir abends müde nach einer langen, wunderschönen Tour München erreichten, hatte sich der Umfang von Axels rechter Beinmuskulatur locker verdoppelt. Seine Maschine ging nicht nur recht gerne bei jeder Gelegenheit aus, nein, sie ließ sich auch nur sehr schwer überreden, wieder anzuspringen. Überflüssig zu erwähnen, daß sie keinen E-Starter besaß. Nur gut, daß sie auf der Rücktour fast immer an einem Gefälle ausging. Durch Anschieben sprang sie stets sofort wieder an. Und Axel war nur schwer zu überreden, den Zischer am Lenker während des Ankickens auch irgendwann wieder loszulassen. Es trat sich doch viel leichter bei gedrückter Dekomp...  :-))

Abends entführte Axili uns dann in ein griechisches Lokal mit dem schönen echt griechischen Namen “Lucullus”. Das Essen war nicht nur qualitativ Spitze, nein, es was sooo viel zu viel, daß wir uns das Fleisch, welches wir nicht schaffen konnten, einpacken ließen und völlig überfressen nach Hause rollten. ;-)

Den Mittwoch widmeten wir der City Münchens, dem Viktualienmarkt, dem Stachus, dem Karlsplatz ;-) ...und natürlich den Kaufhäusern, wo Meggi eine Jacke mit dazu passender Bluse erstand. Ich bin da anspruchsloser. Mir reichten zwei klitzekleine Pfeifen von “Pfeifen-Huber”, Münchens größtem Pfeifengeschäft... Dann ließen wir uns vom gut funktionierenden (spätestens hier bemerkten wir, daß wir nicht in Bonn weilten. Ja, München ist schon eine recht große Stadt.) öffentlichen Nahverkehr heimwärts schaukeln, wo wir uns auf ein Abendessen im “Gorki-Park” vorbereiteten.

Über die Speisekarte dieses Lokals amüsierten wir uns köstlich. So stand hier z.B. zu “Bananensaft” die Erklärung, daß es sich um eine Frucht aus dem imperialistischen Ausland handele, die in der Sowjetunion nicht erhältlich sei. Auch der Longdrink “KGB” (keiner geht breiter) sowie die “Russischen Eier” (zwei Stück, weil hat sich gehabt Genosse Stalin nur diese beiden) und die dem Wechselkurs des Rubel angepaßten, krummen Preise trugen zu unserer Erheiterung bei.

Am Donnerstag holten wir die Einkäufe nach, die wir am Vortage nicht mehr geschafft hatten. Zwischendurch stärkten wir uns im Augustiner-Keller (wo denn sonst?!?) bei einem Gläschen (der Bayer nennt das “Moaß”) Edelstoff (dieses Bier heißt nicht nur so...) und einer kleinen (na ja...) Brotzeit und beguckten die vorbeiflanierenden Menschenmassen.

Den Abend begannen wir mit einer kleinen (na ja...) Thailändischen Reistafel, die uns als Grundlage für den nachfolgenden Besuch im “Juleps” dienen sollte. Hier gibt es immer noch die besten Cocktails und Longdrinks, die ich kenne. Aus der reichhaltigen Palette der hier angebotenen flüssigen Kostbarkeiten wählte ich zunächst einen “Kai Pirinha”. Auch der nachfolgende “Golden Frozen Daiquiri” war von einer Qualität, wie ich ihn noch niemals anderswo erhalten habe. Hier hingegen ist er, solange ich diese Cocktail-Bar kenne, stets konstant gut.

Der Freitag stand bereits im Zeichen des nahenden Weiterreisens. Die Jattin spielte virtuos auf Waschmaschine und Trockner. Ich vertrieb mir die Zeit beim Frisör. Nachdem ich mich anfangs über die vielen Antiquitäten in diesem Laden gewundert hatte und ich mich auch bereits darüber gewundert hatte, daß die Frisöse bereits nach knapp zehn Minuten mit dem Schneiden fertig zu sein schien (“So kurz, wie sie’s nur irgendwie verantworten können! Derzeit kitzeln mich immer wieder ein paar verirrte Haarspitzen im Ohr; und unterm Helm ist das ziemlich unangenehm...”), zog das Mädel jetzt eine winzige Schere aus ihrem Kostüm (jawohl, “Kostüm” - nicht Kittel!) und begann mit der eigentlichen Komposition meiner Frisur.

...Und ich begann langsam zu ahnen, daß dieser Frisörbesuch wahrscheinlich der bislang teuerste meines Lebens werden würde. Ich sollte recht behalten, wie sich sechzig Minuten später herausstellte. Aber die Frisur war es wirklich wert. Sooo kurz hatte sich bislang kein Frisör getraut zu schneiden. Und es sah auch noch gut aus. Und als bequem erwies sich dieser Haarschnitt in der Folgezeit auch. Kurzum: es war seinen Preis wert.

Abends gingen wir in einen Biergarten am Flaucher, wo wir Bekannte treffen wollten. Bei ein paar Gläschen (“Moaß”) Bier und einigen Kleinigkeiten (na ja...) zum Essen ließen wir den Abend und unseren München-Aufenthalt ausklingen.

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Am Samstag ging’s dann ab gen Ostholstein. Wir hatten uns überlegt, irgendwo auf halber Strecke, so in der Gegend von Göttingen, einen Halt einzulegen und zu übernachten, um am Sonntag dann den Rest dieser Etappe zurückzulegen. Aber wie so meist, klaffte auch hier eine ziemliche Kluft zwischen Theorie und Praxis (Grau, grau, mein Freund. ‘s ist alles Theorie. (Goethe)). Je weiter wir den Startpunkt unserer Fahrt hinter uns ließen, desto frischer wurde die Luft ...und wir mit ihr.

In der Gegend von Hannover ging Petrus dann vielleicht ein bißchen zu weit: es regnete. Aber nur für einige, wenige Minuten. Wir machten Tankstop, aßen eine Kleinigkeit (na ja...) und stellten fest, daß wir eigentlich durchaus fit genug für die Weiterfahrt waren. Also rief ich Chris in Neukirchen an und fragte, ob etwas dagegen spräche, wenn wir heute bereits bei ihm eintrudeln würden. Er hatte keinerlei Einwände (schließlich kannte er mich ja auch noch nicht persönlich!) und so kamen wir gegen Abend in Ostholstein an. Dort stand Chris mir dann zum ersten Mal, live und in Farbe, gegenüber.

Ein bißchen Angst hatten wir schon vor dieser ersten Begegnung gehabt. Schließlich kannten wir einander ausschließlich aus Mail-Kontakten im MausNet. Oder, wie Chris es einem Freund gegenüber ausdrückte: “Wir haben uns nie vorher gesehen, einander aber wöchentlich durchschnittlich 3 Briefe geschrieben ...wie die Schwuchteln!” In einer Mail hatte ich vor ein paar Monaten anklingen lassen, daß ich eine Deutschland-Tour plane, die uns u.a. auch nach Schleswig-Holstein führen sollte. Chris hatte uns damals spontan eingeladen, doch bei ihm zu wohnen. Sowohl aus Neugier als auch aufgrund der Tatsache, daß er eine Waschmaschine (siehe Teil 1 dieser Serie) hat, die wir benutzen durften (Bestechung also), nahm ich diese Einladung an.

Abends hatte er eine “kleine Beratung” vorbereitet. Der Begriff “Beratung” für ein geselliges Beisammensein zwecks Vernichtung von Unmengen Bier (Holsten knallt am dollsten) sowie rhythmisches Zucken von Körpern und Extremitäten zu überlautem, moduliertem Krach in seiner Werkstatt wurde mir im Rahmen dieser Veranstaltung erklärt: Im Winter standen hier immer eine oder mehrere Harleys zum Zwecke des Umbaus herum. Das gestaltete sich dann meist so, daß einer schraubte und die Drumherumstehenden ihm unter Mißbrauch etlicher Paletten Holsten und nach eingehender “Beratung” heiße Tips gaben, was als nächstes an der Maschine getan werden müsse. Meist gestalteten sich diese “Beratungen” nach wenigen Stunden so, daß man auf das Schrauben vollständig verzichtete, dafür aber um so intensiver dem Inspirations-Tröpfchen Holsten zusprach.

Jetzt standen wir also mitten drin in einer solchen “Beratung”. Langsam strömten die Teilnehmer herbei. Hier strömte einer, dort strömten zwei. Irgendwann waren dann die für eine “kleine Beratung” notwendigen 15 bis 20 Teilnehmer zusammen und wir wurden einander vorgestellt. “Das ist Starrahmen-Miller. Der Typ fährt glatt von hier nach Berlin, steigt da von seiner Maschine und grinst auch noch dabei.” “Der da drüben, der wie ein Kanadischer Holzfäller aussieht, das ist Lenny “Freispruch”. Der ist  Anwalt und heiratet am kommenden Freitag (Lenny “Freispruch” kriegt Lebenslänglich).” “Vom “Klockenmoker” und seiner Maschine hatte ich Dir ja schon Bilder geschickt. Da vorne ist er live.” “Hey Loide, das hier sind Timmi und seine Jattin. Die beiden kommen gerade mit ihrer E-Glide aus München.

Ein “Berater” murrte etwas von “Diese Harleys mit den neuen Evo-Motoren... Das ist doch gar kein richtiges Fahren mehr!” Er wurde mit maliziösem Grinsen darauf aufmerksam gemacht, daß wir wenigstens damit fahren - während er selbst doch wohl mit dem Auto gekommen sei?!? Kurz darauf war unsere Runde um einen Beleidigten reduziert. Diese Lücke wurde aber direkt vom örtlichen Dauerschnorrer wieder gefüllt, der von einem Taxi ausgespuckt wurde, etliche Biere trank, die Mädels antatschte und genauso plötzlich von einem Taxi wieder eingesammelt wurde. Zurück blieb eine Runde, die rätselte, woher er bloß Wind von dieser “Beratung” bekommen haben mochte.

Ach, beinahe hätte ich ja noch Lenny’s Freund vergessen, einen Berliner mit kahlgeschorenem Kopf, den lediglich ein 5-Markstück-großer Haaransatz im Nacken zierte. In diese eine Haarsträhne hatte er sich eine Feder nebst ein paar Ziersteine eingeflochten und erklärte, daß er Medizinmann sei und Lenny am Freitag eine echt indianische Hochzeitszeremonie angedeihen lassen werde. Leider müssen wir dieses Spektakel wohl verpaßt haben. Auf jeden Fall hätte dieser Bursche mit seinem extrabreiten Scheitel jede Bewertung der originellsten Haarfrisur mühelos gewonnen...

Dann gab es da noch einen Jungen namens “die Kröte”, eine Angela, eine Bine, eine recht bekannte Lyrikerin, die ich in diesem Zusammenhang wohl besser nicht namentlich erwähne, um sie nicht dem Verdacht auszusetzen, daß sie irgendwie zu dieser Chaostruppe gehöre. Nein, sie war rein zufällig vorbei gekommen und hatte den Lärm gehört...  Wollte ich sie alle erwähnen, die Originale, die auf dieser “Beratung” anzutreffen waren, so fände ich nie ein Ende. Also breche ich die Beschreibung der Teilnehmer hier einfach mal ab. Wie lange die “Beratung noch dauerte, das entzieht sich meiner Kenntnis. Nach der fast 1000-km langen Mopped-Fahrt genügten bereits wenige Liter “Holsten knallt am dollsten”, um mich Richtung Koje entfliehen zu lassen, wohinein ich umgehend plumpste, um mich erst am nächsten Morgen zum Frühstück (na ja, früh?) wieder zu erheben.

Nach einem wahrlich herrschaftlichen Frühstück mit frischgebackenen Brötchen und Kuchen (Die Vorzüge einer Bäckerei im Hause), trafen wir uns anschließend mit dem harten Kern der “Berater” zu einer Ausfahrt zum “Hessenstein”. Das bißchen Nieselregen würde schon wieder aufhören. Denkste! Triefnaß kamen wir nach einer Fahrt durch herrlichste Landschaft an. Während wir unsere Heißgetränke schlürften, warfen wir immer wieder skeptische Blicke nach draußen. Irgendwann mußte doch auch die dickste Regenwolke leer sein. Weit gefehlt. Der Regen wurde noch dichter. So schwangen wir uns wieder auf unsere Maschinen, nachdem alle mehrfach unsere angebotenen Regenkombis abgelehnt hatten, und zuckelten heimwärts.

Meggi und ich hatten ja unser gut gefettes Leder an. Aber die anderen waren in ihren Jeans und Westen bald schon bis auf die Haut naß. Das Wasser lief ihnen nur so aus den Hosenbeinen. Der Regen war so dicht, daß ich mein Visier öffnen mußte, um überhaupt noch etwas sehen zu können. Jetzt klatschten die dicken Regentropfen aber so hart in mein Gesicht, daß ich vor Schmerz die Augen schließen mußte. Inzwischen hatte sich das Tempo unserer Kolonne bereits deutlich auf Schrittgeschwindigkeit reduziert. Irgendwann wurden die Tropfen endlich wieder normaler, so daß wir uns beeilten, das Zuhause im Allgemeinen und die heißen Badewannen im Speziellen zu erreichen.

Abends waren dann alle wieder soweit trocken und durchgewärmt, daß wir uns treffen konnten, um Lenny’s Hochzeitsgeschenk zu beraten und dafür zu sammeln. Was wurden nicht alles für abstruse Vorschläge gemacht. Schließlich einigten wir uns darauf, den Flitterwöchnern ein romantisches Wochenende in irgendeinem Hotel in Deutschland zu schenken.

Am Montag begannen wir beide dann auf eigene Faust, die Gegend zu erkunden. Was lag (im wahrsten Sinne des Wortes) näher, als sich einmal Puttgarden mit seinem Fährbetrieb anzuschauen. Nachdem ich mich gar nicht satt sehen konnte, aßen wir eine hervorragende Fischplatte in einem der vielen kleinen Dörfer Fehmarns. Dabei kam ich zu der Erkenntnis, daß ich das Marine-Denkmal Laboe bislang eigentlich immer nur von der Seeseite aus gesehen hatte (Ich war als Bordfunker bei der BundesMarine). Jetzt wollte ich die Gelegenheit nutzen, mir dieses Ehrenmal einmal von der Landseite aus anzusehen.

So passierten wir Kiel und bogen links ab zur ausgeschilderten Strecke “zum Ehrenmal”. Kurz darauf eine Kreuzung. Zum Denkmal ging’s rechts ab - allerdings war diese Straße für Busse und Motorräder gesperrt (nicht für PKWs). Diese Logik vermochte ich nicht nachzuvollziehen. Und da auch keinerlei Hinweis auf die Entfernung zu besagtem Denkmal zu finden war, verzichteten wir auf einen vielleicht kilometerlangen Fußmarsch, setzten uns in ein Strandcafe und schlürften unsere heiße Schokolade. Wenn die da in Laboe uns Motorradfahrer nicht mögen, dann sollen sie halt auf uns verzichten. Zur Strafe schauen wir uns fortan bestimmt nie wieder ihr Ehrenmal an. Auch nicht wieder von der Seeseite. So!

Abends versuchten wir, in der Dorf-Gaststätte etwas zu essen zu bekommen. Leider hatte die Küche bereits geschlossen, so daß wir auf das Chinalokal in Oldenburg ausweichen mußten. Mit dem Mopped ja gar kein Problem zu erreichen.

Dienstags zeigte uns ein Blick in die Karte, daß wir gar nicht weit vom weltbekannten Strandbad Grömitz entfernt waren. Also beschlossen wir, uns dieses Städtchen einmal anzuschauen. Der Strand war ja ganz nett; aber ansonsten unterschied sich Grömitz in nix von den Tausenden anderer Seebäder, die sich von Touristen ernähren (Kannibalen?). So fuhren wir eine Schillerlocke später wieder weiter. Unterwegs fanden wir einen zum “Künstler-Cafe” umgebauten Bauernhof, wo wir halt machten, um uns die ausgestellten Bilder und sonstigen Kunstgegenstände anzusehen.

Angeschlossen war auch die Gelegenheit, eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. In einer benachbarten Scheune war ein Tresen aufgebaut. Hier gab’s Tee oder Kaffe, belegte Brote mit hausgemachter Hart- und Schmierwurst, Honig aus eigener Imkerei und selbstgebackenen Kuchen. Da wir uns nicht für eine Sorte entscheiden konnten, aßen meine Jattin und ich beide je ein Stück Apfel- und Kirschstreusel.

Wieder in Neukirchen angekommen, lud uns ein Nachbar ein, mit ihm zum Vorderladerschießen zu gehen. Da ich so’was bislang nur durch das Studium meiner Karl May-Bände kannte, nahm ich diese Einladung gerne an. Das Pulver wurde abgemessen, die selbstgegossenen Kugeln eingepackt. Und dann ging’s, das Gewehr in das Auto gefädelt (Gott, sind die Dinger lang), los zum Schießstand.

Manni, so heißt der Besitzer jenes anachronistischen Schießprügels, kippte eine der abgemessenen Pulver-Portionen in den Lauf, stopfte routiniert mit dem Ladestock nach, wickelte eine der Kugeln in ein kleines Läppchen und stieß auch sie tief hinab in den Schlund der Waffe. Dann nahm er das Gewehr hoch, spannte den Hahn, und setzte ein Zündhütchen auf. Dann besann er sich wohl darauf, daß er ein paar Weicheier zum Zuschauen dabei hatte, wühlte in seiner Utensilientasche und reichte Meggi ein paar Ohrschützer, die den Knall dämpfen sollten. Er selbst sei als alter Panzerkanonier diesen Knall gewöhnt und brauche solche Dinger nicht. Mir riet er, die Finger in die Ohren zu stecken. Dann nahm er erneut das Ziel auf und drückte ab.

Der Effekt war unbeschreiblich. Vorne aus dem Lauf bleckte eine lange Feuerzunge, gefolgt von einem Funkenregen. Dazu ein dumpfer, lauter Knall, den auch die in die Ohren gepreßten Finger kaum zu dämpfen vermochten. Und dazu noch eine beißende Wolke verbrannten Pulvers. Und dabei standen Meggi und ich in der entferntesten Ecke. Wie mag dieser Schuß erst auf den Schützen gewirkt haben, der direkt am Orte des Geschehens nicht einmal die Finger frei hatte, um sie in die Ohren zu rammen? Anzumerken war ihm gar nix. Er lud erneut und bot mir an, auch einmal einen Schuß abzugeben, worauf ich jedoch, immer noch unter den Nachwirkungen des gerade eben Gesehenen, Gehörten und Gerochenen leidend, dankend verzichtete. Meggi schloß sich meinem Verzicht dankend an. Es war schon ein Erlebnis, diese archaische Art des Schießens einmal mitzuerleben. Allein, ich bleibe bei meinem Luftgewehr. Das knallt nicht so laut und stinkt auch nicht so höllisch.

Am Mittwoch wollte ich eigentlich nur eben schnell ein Bild von der Brücke über den Sund nach Fehmarn schießen. Allerdings stellte sich da als komplizierter heraus, als ich eigentlich angenommen hatte. Zunächst einmal mußte ich feststellen, daß wir aus Platzgründen nicht die normale Fotoausrüstung mitgenommen hatten, sondern daß mir lediglich Meggis kleiner Apparat mit fest angebautem Normalobjektiv zur Verfügung stand. Also mußten wir näher ran! Als wir dann endlich nahe genug an der Brücke waren, gab es keine Möglichkeit anzuhalten und zu fotografieren.

Also fuhren wir über die Brücke nach Fehmarn und suchten von dieser Seite einen Ort, der mir in etwa die Perspektive zu bieten vermochte, die ich mir in den Kopf gesetzt hatte. Nach Durchqueren endloser Stoppelfelder auf verschlungenen Sträßchen ohne Hinweisschilder erreichten wir schließlich ein Hafenstädtchen im Südwesten der Insel, wo ich meine Fotos schoß. Auch die Fischplatte war hier bemerkenswert gut.

Nur die Rückfahrt gestaltete sich wesentlich schwieriger, als  wir uns das vorgestellt hatten. Es gab nicht etwa Hinweisschilder auf die Zufahrtsstraße zum Festland. Nein, in jedem der Dörfer, die wir durchquerten, stand genau ein Hinweis auf das Nachbardorf. Die Insulaner gehen wohl davon aus, daß jeder Tourist, der sich hierher verirrt, spätestens nach der dritten Inselumrundung alle etwa 20 Dörfer Fehmarns geografisch einzuordnen weiß und danach keine allzu großen Probleme mehr hat, nun trotz dieser spärlichen Informationen eine der beiden Zufahrten zum Rest der Welt zu finden. So erreichten wir dann auch nach mehrstündigem Umherkurven durch die verschlungenen Wege der Insel die Brücke, welche wir immer wieder zum Greifen nahe vor uns gesehen hatten, zu der wir jedoch keine Zufahrt gefunden hatten. So blieb uns gerade noch die Zeit, uns ein wenig in Heiligenhafen umzuschauen, bevor wir wieder heimwärts mußten, da wir abends von Chris eingeladen worden waren, mit ihm in einem kleinen Dorfgasthof zu Abend zu essen.

Am Donnerstag kamen wir endlich dazu, das Dörfchen selbst, welches uns so gastfreundlich aufgenommen hatte, zu erkunden. Kaum mit dem Spaziergang begonnen wurden wir bereits vom Koch der Dorfkneipe angesprochen, der sich nochmals dafür entschuldigte, daß er uns am Montag um 21 Uhr nichts mehr zu essen hatte anbieten können, da die Küche bereits sauber und kalt gewesen sei. Wieder einmal wurde ich sehr nachdenklich, als mir bewußt wurde, daß so’was in Bonn schier undenkbar gewesen wäre. Wir hatten diesen Mann erst genau einmal gesehen. Wir waren spät abends nach Küchenschluß in sein Lokal gekommen um zu essen. Und er entschuldigte sich dafür bei uns! In Bonn bin ich in ähnlichen Situationen meistens darauf hingewiesen worden, daß es schließlich mein Problem sei, wenn ich so spät erst auftauche. Außerdem stehe sogar in der Karte, daß die Küche um xx Uhr schließe. So!

Wir wechselten noch ein paar Sätze, dann mußte er weiter, da er noch Fisch einkaufen wollte, den er stets frisch zubereitete. Damit war für uns  auch schon klar, wo wir unseren Abend beschließen würden. ;-)  Aber erst einmal hatten wir noch Vorbereitungen für den morgigen Tag zu treffen: Die Moppeds mußten für Lenny’s Hochzeit auf Hochglanz gebracht werden - und sie sahen nach den Regenfahrten wirklich schlimm aus. So bewaffneten wir uns also mit Schwämmen, Bürsten, Kaltreiniger, Wasserschlauch usw. und schälten langsam aber sicher die glänzenden Lack- und Chromteile wieder aus dem Schlamm, der sie umhüllte. Bereits nach wenigen Stunden schon war wieder zu ahnen, wie diese Maschinen einmal ausgesehen haben mußten. Durch feines Einsprühen mit “Radglanz”, jenem Produkt, welches ich bereits als kleines Kind nach dem Putzen immer auf meinem Fahrrad verteilt hatte, gaben Chris, von dem dieser Trick stammte, und ich unseren Moppeds den letzten optischen Schliff.

Hungrig von der Arbeit begaben wir uns in Richtung “Postkutsche”, so der Name der Dorf-Gaststätte. Dort genoß ich einen leckeren Butt mit hausgemachtem Kartoffelsalat, während Meggi es vorzog, auf die Grätenpulerei zu verzichten und lieber Fischfilet aß.

Der Freitag stand voll unter dem Motto: Lenny “Freispruch” kriegt  lebenslänglich. Wir tuckerten also nach Heiligenhafen, wo wir uns auf dem Marktplatz vor dem Standesamt mit den anderen trafen. Die Moppeds wurden im Halbkreis vor dem Standesamt geparkt. Dann fuhr das Brautpaar auf seinem Mopped vor. Lenny hatte sogar, wie böse Zungen lästerten, erstmalig seine Harley mit einem feuchten Tuch abgewischt. Die Bediensteten des Rathauses preßten sich die Nasen an den Scheiben ihrer Büros platt und um uns herum sammelten sich staunende Touristen. Lenny forderte uns auf, doch an der Trauungszeremonie teilzunehmen und mit ins Trauzimmer zu kommen “so viele, wie ‘reinpassen”. Und es paßten etliche rein. Außer dem Standesbeamten und Lenny’s Vater, die ein Jackett trugen, trug der Rest der männlichen Anwesenden Leder.

Die Trauung wurde vollzogen, indem Lenny, äußerlich ruhig, sein “Ja!” geschmettert hatte (die Hände zitterten aber doch merklich) und die Braut nach beinahe versäumtem Einsatz doch noch ihr “Äääähhh..... Ja!” gesagt hatte. Etliche der Zuschauer wischten sich verstohlen ein paar Schweißtropfen aus  den Augenwinkeln; oder sollten es vielleicht doch gar Tränen der Rührung und Ergriffenheit gewesen sein, die sich unerklärlicherweise selbst bei den Hartgesottensten in solchen Momenten einzustellen pflegt?

Wie auch immer. Die Fahrer begaben sich zu ihren Moppeds und ließen an. Donnernder Lärm grollte aus den Auspüffern. Sollten vielleicht gar einige verbotenerweise an diesem Tag ihre Schalldämpfer vergessen haben? Die Anzahl der Touris hatte sich noch weiter gesteigert und so standen jetzt fast 1000 Zuschauer um uns herum, während das Brautpaar auf einem von Bine mitgebrachten Kinderroller ein paar Runden drehen durfte. Anschließend bestiegen auch die Frischvermählten ihr Mopped, welches inzwischen anstelle des Nummernschildes ein “Just married” schmückte, und führten den Konvoi durch Heiligenhafen und anschließend nach Hause, wo die Eltern eine kleine Feier vorbereitet hatten.

Die arme Mutter, die so gar nicht verstehen konnte, daß die ganzen Ledertypen sich wirklich nicht auf einen Kaffee und ein paar Schnittchen reinsetzen wollten und statt dessen lieber draußen ‘rumstanden und an einer Bierflasche nuckelten. Kurzerhand drückte sie jedem von uns ein (oder gar mehrere) Schnittchen in die Hand und verließ das Schlachtfeld mit deutlich sichtbaren Spuren ihres Sieges im Gesichtsausdruck.

Wir verabschiedeten uns bald darauf, um die Familien ihr Fest im engeren Kreise feiern zu lassen. Außerdem hatten wir auch bereits wieder volles Programm; wir mußten noch für die morgige “große Beratung” einkaufen. Der Nachmittag ging damit drauf, Bier, Grillkohle, Grilladen usw. einzukaufen.

Abends war dann Polterabend angesagt. Dazu hatte Lenny den Bürgersaal eines benachbarten Dorfes gemietet. Als wir eintrafen, hatten die “Flying Wheels”, eine Berliner Rockergruppe, die Organisation bereits fest im Griff. Die Getränke- und Essensausgabe funktionierte reibungslos. Schnell kamen auch die älteren Anwesenden dahinter, daß die Rocker wohl doch gar nicht sooo schlimm wie ihr Ruf und ihr Aussehen seien. Im Gegenteil, man konnte sich eigentlich sogar recht angenehm mit ihnen unterhalten.

Natürlich tauchte irgendwann auch “VM”, der bereits bekannte Dorfschnorrer auf ...und wurde von den Rockern umgehend fürs Leergut eingeteilt, was ihm irgendwie nicht so recht zu gefallen schien. Aber da es auch auf diesem Posten genug zu trinken gab, schien er’s zufrieden zu sein und beteiligte sich, wie alle anderen auch, an der großen Alkoholvernichtungsorgie.

Eine Klo-Bekanntschaft von mir konnte sich gar nicht darüber beruhigen, daß er hier keine Alster-Wasser ausgeschenkt bekomme. Als es ihm bei meiner dritten Wiederholung “Ach wirklich, kein Alster? Das ist ja schrecklich! Was soll man denn dann trinken?” langsam zu dämmern begann, daß ich auch ohne den Zusatz von Limo im Bier recht gut leben konnte, trollte er sich beleidigt Richtung Bierausgabe, um es mir gleichzutun. Wenig später sah ich ihn dann in ausgelassener Stimmung, die durch den Limo-Zusatz im Bier bestimmt nicht hervorgerufen worden war, inmitten der sich amüsierenden Menge wieder.

Musikdarbietungen und Gedichtvorträge rundeten das Begleitprogramm ab. Irgendwann wankten wir in irgendein Auto, welches uns unserer Koje nahebrachte, in die wir uns umgehend plumpsen ließen, um erst gegen Mittag wieder aufzuwachen.

Wie so meist nach durchzechten Nächten, quälten uns Hunger und vor allem Durst. Also schwangen wir uns auf “Agathe”, nachdem ich beschlossen hatte, daß mein Restalkoholpegel inzwischen wieder deutlich unter der 0,8-Promille-Marke liege und schaukelten gen Heiligenhafen, um ein Lokal zu finden, in welchem wir um 13 Uhr noch etwas Frühstückähnliches bekommen würden. Wir wurden auch schnell fündig. Im ersten Stock des Cafés “Blinkfür” (osä.) wartete wirklich noch ein reichhaltig gedecktes kaltes Frühstücks-Büffet auf uns. So kamen wir zum wohl opulentesten Frühstück unserer gesamten Deutschland-Rally. Wir labten uns an Granat (fälschlich oft als Krabben bezeichnet), schaufelten scheibenweise herrlichen Lachs in uns hinein, ließen uns Schinken, Rührei und Käse munden und rollten nach Stunden völlig überfressen wieder zum Parkplatz, wo die treue “Agathe” geduldig unserer harrte.

In Neukirchen bereiteten wir dann alles für die “große Beratung” vor, die abends steigen sollte. Und langsam rollten sie dann alle an, die Rocker aus Berlin, die Mopped-Fahrer der Umgebung, die Nachbarn, “die Kröte”, Manni, Bine, Gabi (der eigentlich Gabriel heißt), der Medizinmann, diverse Mädels und... und... und... Sogar ein MAUSer war extra zu dieser “Beratung” angereist (Hallo, Frank!).

Mit dieser Fete endete unser Aufenthalt in Holstein - leider. Aber am Sonntag erwartete uns bereits eine Waschmaschine in Emden.

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Am Sonntag erreichten wir nachmittags Emden, im Südwesten Ostfrieslands an der Emsmündung gelegen, den letzten Fixpunkt unserer “Deutschland-Rally”. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten und das Leder gegen bequemere Kleidung gewechselt hatten, machten wir mit unseren Gastgebern einen ausgedehnten Spaziergang durch das neue Emder Grachtenviertel, ein wirklich schön angelegtes neues Wohngebiet am Stadtrand, welches seinen Namen von den vielen grachtenähnlichen Kanälen, die es durchziehen, hat. Trotz aller Skepsis (“Zu Fuß? Wir haben doch ein Motorrad...”), die ich der altmodischen Fortbewegungsart unter Zuhilfenahme der eigenen unteren Extremitäten anfänglich gegenüber gehegt hatte, mußte ich anschließend feststellen, daß sich diese ungewohnte Anstrengung durchaus gelohnt hatte.

Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir am Montag nach Norden-Norddeich, meiner Heimatstadt, wo ich mir als Schwimmeister im Freibad für die Zeit der Sommersemesterferien mein Studium finanziert hatte (Jeden Verbrecher zieht es halt an die Stätte seiner Untaten zurück...). Dort besuchte ich auf einen kleinen Klönschnack einen ehemaligen Kollegen, der dort jetzt das neue Wellenbad leitet.

Natürlich ließen wir auch diesmal nicht den Besuch der direkt daneben liegenden Seehundaufzuchtstation aus. Hier werden die mutterlos aufgefundenen Jungseehunde, die sogenannten Heuler (wer einmal einen im Wattenmeer gehört hat, weiß, woher diese Bezeichnung kommt!) großgezogen, um sie später, nach einem Aufenthalt von 60 bis 100 Tagen, wieder in einem Seehundschutzgebiet in der Nordsee auszusetzen. Neben großen Vitrinen, in denen die hiesige Tier- und Vogelwelt zu bestaunen ist, waren auch diesmal wieder etliche Seehunde in den Aufzuchtsbecken zu bestaunen.

Es ist einfach zu possierlich, wenn diese Tiere mit ihren großen schwarzen Kulleraugen nachsehen, ob auch genügend Zuschauer da sind, um dann spielerisch eine Art Wasserballett zum besten zu geben. Stundenlang hätten wir auch diesmal wieder den Robben-Babys bei ihren drolligen Spielereien zuschauen können ...hätte nicht die appetitfördernde Salzbrise an der Küste ihre Wirkung getan. Da ich es vorziehe, nicht in einem der typischen Touristen-Restaurants einzukehren, sondern statt dessen lieber ein etwas abseits gelegeneres Lokal ausweiche, fuhren wir zum Mittagessen nach Berumbuhr, wo wir uns - wieder einmal - vom frischen Fisch begeistern ließen.

Wir genießen es stets, wenn wir an irgendeiner Küste sind, sei es nun das Mittelmeer, die Ost- oder die Nordseeküste, dort Fisch zu essen. Nur hier ist er wirklich frisch. Während meiner Kindheit war Fisch ein sogenanntes “Arme-Leute-Essen”. Wir waren arm - also gab es oft Fisch. Und um ihn noch billiger zu bekommen, wurde er oft direkt vom Kutter gekauft. Unbemerkt wurde ich dadurch so verwöhnt, daß ich Fisch hier in Bonn einfach nicht mehr mag. Er ist mir nicht frisch genug.

Anschließend besuchten wir noch ein paar alte Freunde in Dornum. Dann fuhren wir nach Emden zurück und machten uns einen gemütlichen Abend zusammen mit unseren Gastgebern, Helga und Jürgen, sowie ihren drei Kindern.

Auch am Dienstag war das Wetter noch ganz passabel, so daß wir uns aufmachten zu einer Tour durch die Krummhörn. Entsetzt darüber, wie sehr sich der ehemals kleine Schutzhafen Greetsiel durch den Tourismus verändert hatte, fuhren wir an der Leybucht entlang nach Norden, wo ich dem Tip eines Bekannten folgte, der uns ein Restaurant ganz in der Nähe empfahl, alldieweil die appetitanregende Meeresluft bereits wieder begann, erste Wirkungen zu zeigen.

Nachmittags war Waschen angesagt. Meggi sortierte die Schmutzwäsche, dann begleitete uns unsere Gasteltern, Jürgen und Helga, “zur Waschmaschine”... Ein Raum mit sechs(!) modernsten Waschmaschinen und ebenso vielen Trocknern erwartete uns. Unserer Gastgeberin erschien es als ganz natürlich, die unterschiedlichen Wäschestücke in mehreren Maschinen mit unterschiedlichen Temperaturen gleichzeitig zu waschen. So drehten sich kurz darauf munter drei(!) Waschtrommeln mit unserer Wäsche: 60-Grad, 30-Grad und ...eine mit zwei schwarzen T-Shirts, die wir normalerweise mit der Hand zu waschen pflegten, da sie immer noch stark abfärbten. Tjä, das ist halt einer der Vorteile, wenn man in einer Berufsbildenden Schule mit modernster Ausstattung wohnt, die u.a. auch den Ausbildungsgang “Hauswirtschaft” anbietet.

Während die Maschinen liefen machten wir einen kleinen (kleinen? Naja, soweit das in einem solchen Komplex überhaupt möglich ist.) Rundgang durch die verschiedensten Abteilungen und ihren unterschiedlichen Einrichtungen. Hier gab es neben SW- und Farblabors auch noch ein vollausgerüstetes Fernsehstudio auf dem neusten Stand der Technik. Daneben ein komplettes CAD/CAM-Labor, Designer-Studios, Lackierereien, metallbearbeitende Maschinenparks, ein komplett abgebildetes Hotel mit Empfangsbereich, etlichen Großküchen, einen Kindergarten und... und... und... Zu viel, um es hier alles aufzählen zu können.

Da es auch am Mittwoch der Wettergott gut mit uns meinte, sattelten wir “Agathe” und brachen auf, um die Moorlandschaften Ostfrieslands zu besichtigen. Ostfriesland hat im wesentlichen drei Bodenarten zu bieten: die Marsch, das fruchtbare Küstenland, welches durch die Landgewinnung immer breiter wird. Dann die Geest, einen Sandrücken, der während der Eiszeit entstanden ist. Und als dritte Landschaftsform gibt’s hier ausgedehnte Moorgebiete, worauf Ortsnamen wie Moordorf, Großefehn und Wiesmoor bereits hindeuten. Entlang der Fehnkanäle mit ihren Zugbrücken und Windmühlen erreichten wir pünktlich zur Mittagszeit Wiesmoor mit seiner weltbekannten Blütenpracht. Im “Torfhus” aßen wir - na, was wohl? Richtig: - Fisch.

Gesättigt machten wir ein paar kleine Touren kreuz und quer durch diese interessante Moor- und Heidelandschaft, die, nachdem sie bereits fast vollständig entwässert worden war, heute durch Bewässerung sogar wieder Hochmoor aufweist.

Abends besuchten wir mit unseren lieben Gastgebern “Tini’s Sömmerköken”, direkt am Großen Meer gelegen. Diese “Sommerküche” ist ein ganz im alten Stile gehaltenes Restaurant, in dem es nur wenige, rustikale und Ostfriesland-typische Gerichte zu essen gibt. So weist die Speisekarte so seltsame Gerichte auf wie “Updrögt Bohnen”, “Speckfett Arten” oder “Bookweed Pannkok’n” und andere, dem Binnerländer wahrscheinlich vollständig kryptische Angebote aus. Zum Verlauf des Essens möchte ich meine selige Großmutter zitieren, die bestimmt gesagt hätte: “Dat wär keen Äten, dat wär ook keen Fräten, dat wär dat wahre Wamsen!”

Am Donnerstag regnete es Bindfäden. Also benutzen wir die Gelegenheit, um uns Emden selbst einmal anzusehen. Wir wanderten am Delft vorbei, statteten pflichtgemäß dem “Otto-Huus” unseren Besuch ab und landeten nach ausgiebigem Test der Chinesischen Küche im Kino, wo das Spektakel “Churrasco-Park” (osä.) lief. Diesen Film wollte Meggi auf gar keinen Fall verpassen. Und da das Wetter sich immer noch nicht wieder gebessert hatte, erschien auch mir die Aussicht auf einen warmen Sitzplatz gar nicht so verkehrt.

Unser Heimweg führte uns an der Kunsthalle vorbei, die der frühere Herausgeber des “Stern”, Henri Nannen, hier baute und in die er seine private, bedeutende Kunstsammlung in eine Stiftung einbrachte, anstatt sich - wie andernorts geschehen (z.B. Köln / Sammlung Ludwig) von der Stadt ein Museum bauen zu lassen und seine Sammlung dort als Leihgabe einzubringen. Leider reichte unsere Zeit nicht mehr, um den dort ausgestellten, qualitätvollen Ausstellungen und Sammlungen bei einem Rundgang gerecht zu werden.

Abends ließ der Regen dann etwas nach und wir fuhren nach Norden in die “Alte Backstube”, ein gemütliches Lokal am Markt, wo wir bereits bei früheren Aufenthalten oft saßen, unsere Bierchen oder auch “Friesengeist” schlürften und mit der damaligen Wirtin, über die schädliche Wirkung frischer Luft nach einem Kneipengang oder über den wohltuendenden Wirkmechanismus von Aspirin fachsimpelten.

Bei unserem letzten Besuch in Ostfriesland, vor zwei Jahren, hatte meine Jattin ein Kleid im altostfriesischen Stile an einer Kellnerin in Neuharlingersiel bewundert. Diese hatte ihr auch verraten, wo es diese Art Kleider zu kaufen gibt. Allerdings war uns seitdem immer wieder etwas dazwischengekommen und wir hatten den angegebenen Laden nie aufgesucht. Aber wie das bei Frauen nun’mal so ist: sie vergessen solche nebensächlichen Dinge niemals. Und so blieb mir nix anderes übrig, als “Agathe” am Freitag nach Jever zu scheuchen, um “uns diesen Laden nur ‘mal anzusehen”. ;-)

Wie immer begrüßte uns Jever mit seinem wohl einmaligen Kontrast-Panorama: Das wunderschöne, alte Schloß in seinem großen, gepflegten Park auf der einen Seite - und die sich wunderbar in das Weichbild der alten Stadt mit ihren Backsteinhäusern einfügenden riesigen, vollverspiegelten Türme der  Jever-(“Dröhnfix”)-Brauerei. Wie jedesmal besiegte ich auch heute irgendwie wieder den unbändigen Drang, den verantwortlichen Architekten kielzuholen. Wir machten uns auf die Suche nach dem besagten Kleiderladen, den wir, wie ich bereits befürchtet hatte, umgehend fanden ...und der darüber hinaus auch geöffnet hatte.

Da rein zufällig ein wie für Meggi geschneidertes Kleid vorrätig war, verließen wir dieses Geschäft wieder, nachdem wir die Neuerwerbung noch schnell mit dem dazugehörigen “weißen Kragen mit Spitzenabschluß” komplettiert hatten.

Nach Befriedigung unserer essentiellen Gelüste im “Kattrepel” (ja, Fisch!), machten wir uns wieder auf den Weg zurück, wobei wir diesmal die Küstenstrecke “über die Siele” wählten. Über Carolinen-, Neuharlinger-, Benser-, Dornumer- und Neßmersiel fuhren wir durch die Krummhörn zurück nach Emden, wo wir uns auf das für den Abend geplante “mal so richtig Fisch essen” in Ditzum vorbereiteten. Meggi hatte also direkt Gelegenheit, ihre Neuerwerbung aus Jever in passendem Rahmen auszuführen.

Tagsüber kann man mit einer winzigkleinen Fähre von Petkum nach Ditzum übersetzen. Leider pendelt die Fähre nur tagsüber zwischen den beiden Orten, so daß uns nichts anderes übrigblieb, als den Emstunnel bei Leer zu benutzen. Eine Brücke über die Ems gibt es zwischen Emden und Leer nicht. Doch die Fahrt hat sich gelohnt. Wir aßen Schollen, Butt und Seezunge, wie ich sie in dieser Qualität noch niemals vorher in irgendeinem Lokal gefunden hatte. Selbst die meist leicht nach Schlick schmeckende schwarze Unterseite der Scholle war ein Genuß. Das sei, so erklärte mir sachkundig Jürgen, ein indirekter Verdienst der Meyer-Werft in Papenburg. Weil die dort gebauten Ozeanriesen schließlich einen Zugang zum Meer bräuchten, werde die Ems hier regelmäßig ausgebaggert, um den notwendigen Tiefgang zu gewährleisten. Daher könne sich kein Schlick an der Emsmündung ansetzen - und die Schollen könnten folglich diesen Geschmack auch nicht annehmen.

Selbst unserer Runde, die wir alle noch nach der alten Schule gelernt  hatten aufzuessen, was auf den Tisch kommt, gelang es nicht, die aufgefahrenen fünf(!) Pfannen voller Fisch aufzuessen. Dabei hatten wir schon kaum von den Beilagen, Kartoffeln und Speckböhnchen, genascht. Zwei Fische blieben einsam in der Pfanne liegen. Niemand war bereit, jemals wieder auch nur einen Happen zu essen - allerfrühestens morgen... Das “Alte Haus am Siel” in Ditzum hatte unsere kühnsten Erwartungen locker übertroffen; sowohl an Qualität als auch an Quantität. Und das zu einem, für Bonner Verhältnisse, lächerlich geringen Preis.

Am folgenden Samstag war Abreisetag. Nach dem Frühstück nahmen wir mit zwiespältigen Gefühlen Abschied in Richtung Heimat. Einerseits fühlten wir uns hier sauwohl und zuhause, waren wir doch ohne irgendwelche Umstände einfach in die Familie aufgenommen worden, als hätten wir immer dazugehört. Andrerseits zog es uns inzwischen auch immer heftiger in unsere eigene Hütte, nach Bonn, zurück.

 

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