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Eine Fahrt zu den Seehundsbänken

Diese Geschichte hatte ich vor einiger Zeit einmal meinem Freund Holli erzählt, der sie so originell fand, daß er meinte, wir müssten sie unbedingt schriftlich fixieren. Also haben wir das getan:

Mathematik, Physik und Chemie hatte er in Bonn studiert. Um sein Studium zu finanzieren hatte er die Schwimmeisterprüfung abgelegt und  in den Semesterferien im Schwimmbad gearbeitet. In seinem Geburtsort Norddeich, in der hiesigen Seebadeanstalt. In Norddeich, dem einzigen Ort auf der Welt, wo der Südwind aus Norden bläst. Von wem ist hier eigentlich die Rede?  Natürlich von meinem Freund Erwin Timmerbeil. (Name geändert)

Timmi, wie er üblicherweise genannt wird, ist nach seinem Studium in Bonn hängengeblieben. Er arbeitet  dort als Spacemanager. Das hat irgendwas mit ganz großen Computern zu tun “Spacemanager”, - ja, das war damals auch so’n Ding bei seiner Hochzeit vor etlichen Jahren. Weil das Standesamt nur deutsche Berufsbezeichnungen erlaubte,  und man mit einem “Spacemanager” nun so gar nichts anzufangen wußte, las er am nächsten Tag verblüfft in seinem eigenen Aufgebot, daß der “Himmelskaufmann” Erwin Timmerbeil vorhatte zu heiraten.

Timmi und seine Meggi hatten vor,  endlich mal wieder an die Nordseeküste reisen, um seine alte Heimat zu besuchen. Meggi freute sich schon riesig auf die Seehundaufzuchtstation und die Heuler mit ihren tiefschwarzen, runden Knopfaugen. Doch sie fanden die Station  leer vor. Alle Heuler waren bereits wieder ins Wattenmeer, ihren natürlichen Lebensraum, zurück gebracht worden. Nicht einer hatte auf Meggi gewartet.

"Dann laß uns doch eine Fahrt zu den Seehundbänken machen, Meggi, damit  du vielleicht doch noch ein paar Heuler zu sehen kriegst!" Sie schifften sich auf einem der weißen Ausflugdampfer der Frisia-Reederei ein und ließen so richtig die Seele baumeln. Das Watt glänzte gülden in der Sonne, die Möwen  umsegelten kreischend das Schiff und der Schiffsdiesel hämmerte sein monotones Lied. Für Timmi, der selbst ein Jahr lang als Funker zur See gefahren war, war das alles nichts Besonderes. Er kannte das Wattenmeer hier von  ungezählten Rettungseinsätzen und auch von Wattwanderungen in- und auswendig. Wie oft war er schon von hier aus nach Juist rüber gelaufen.

Die blecherne Stimme Bordlautsprechers beendete die dösende Ruhe auf dem Oberdeck:  "Liebe Foahrgäste - Steuerbord, das ist die rechte Seite von'n Schiff, sehen sie jetzt die erste Seehundsbank!" Das Schiff neigte sich stark auf die Seite, als alle Fahrgäste gleichzeitig versuchten, einen guten Platz an  der Reling zu erheischen. "Seehunde befinden sich auf ihr jedoch keine!", ergänzte der Lautsprecher nach einer hinterlistigen Pause.

Enttäuscht suchten die meisten Passagiere ihre Sitzplätze wieder auf. Eine ältere Dame  stand noch an der Reling und sie rief aufgeregt mit schriller Stimme: "Da sitzt  aber doch ein Seehund, sehen sie mal, da ist doch ein Seehund!" Timmi, den das Gezeter allmählich zu stören begann, versuchte den  schrillen Diskant abzustellen, indem er klarstellte: "Das ist kein Seehund – das ist eine Möwe!" "Unsinn, junger Mann!” keifte es ihm entgegen, “Eine Möwe ist ein Vogel. Und das da ist ein Seehund. Ich kann doch wohl  noch einen Hund von einem Vogel unterscheiden!" Die anderen Fahrgäste schauten auf die Sandbank und enthielten sich lieber einer Stellungnahme. Die Dame wollte gerade wieder Luft holen als man Timmi in seiner trockenen Art  unüberhörbar vernehmen konnte: "Schau'n Sie doch mal, liebe Frau, Ihr Seehund fliegt gerade weg!" Das schadenfrohe Gelächter rundherum erreichte homerische Dimensionen.

Nachdem die Fahrgäste jetzt durch dieses  Zwischenspiel mitgekriegt hatten, daß da wohl jemand unter ihnen war, der sich hier auskannte, kamen sie nach und nach mit ihren Fragen zu Timmi ...der allmählich zur Höchstform auflief.

"Könnten Sie meiner Frau bitte mal  erklären, warum einige Möwen so unförmig dick und grau sind? Sind das die ganz alten Möwen-Omas und Opas?" "Nee!" klärte Timmi ihn auf, "das sind, im Gegenteil, ganz junge Möwen, noch unter einem Jahr alt. Die  kriegen erst im zweiten Jahr ihr schwarz-weißes Gefieder und ihre schlanke Form.”

Der Bordlautsprecher unterbrach sie: "Anne Backboardseidä, das ist die linke Seite von'n Schiff, sehen sie jetzt eine Seehundsbank mit  mehreren Seehunden darauf!" Diesmal neigte sich das Schiff unter der Last der Schaulustigen auf die linke Seite. Die Seehunde wurden bestaunt und als “niedlich” eingestuft. Die bewußte ältere Dame beäugte die Tiere skeptisch;  offensichtlich darauf vorbereitet, daß gleich wieder eines sich in die Lüfte schwingen und davonfliegen könnte. Immerhin tat sie das jetzt, zur Freude aller, recht schweigsam.

 "Wofür sind das eigentlich für dürre Bäume, die hier überall im Watt herumstehen?" ging die Fragerei weiter.

"Das sind junge Birkenbäume; sie heißen hier Priggen und helfen dem Schiffsführer den Weg durch die  Priele zu finden. Und außerdem sind sie unentbehrlich für die Seehunde. Seehunde sind ja, wie der Name schon sagt, Hunde und die brauchen schließlich regelmäßig einen Baum zum Beinchenheben, wenn sie mal müssen. Im Herbst werden  die Priggen umgedreht und als Besen benutzt. Damit wird dann das Watt für die nächste Saison wieder schön sauber gefegt.

Die Leute waren begeistert und glaubten Timmi inzwischen alles.

“Wo ist eigentlich das ganze Wasser  geblieben? Als wir losfuhren war hier doch noch kein trockener Fleck zu sehen.” "Wir haben jetzt Ebbe! lautete die Fachkundige Antwort. Und Timmi erläuterte das Fänomen so: "Wir haben hier zwischen Norddeich und den  Ostfriesischen Inseln nicht genug Nordseewasser für alle Kurgäste, die hier baden wollen. Also teilen wir es uns mit den Norderneyern und Baltrumern. Wir schicken das Wasser alle 12 Stunden hin und her. So haben alle was davon und  können abwechselnd schön in der Nordsee schwimmen.

Während Timmi auf dem Oberdeck weiter sein Seemansgarn spann und die Fahrgäste wie gebannt an seinen Lippen hingen, hatte ein junger Mann den Weg auf die Brücke gefunden und  nutzte die Gelegenheit, den Kapitän zu fragen: "Sorry, Herr Kapitän, ich hätte da mal eine Frage!" "Jo, watt is denn, mien Jung?" ermunterte ihn der Kapitän.

 "Stimmt das wirklich, daß die Bäume im Herbst umgedreht werden und dann damit das Watt gefegt wird?

Plötzlich dröhnte wieder die Stimme aus dem Bordlautsprecher: "Timmi, oller Klabautermann, büst du etwa hier an Bord!??

 

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